Erasmus und ich

erasmus cliché part two
Hallo, Erasmus-Klischee Nr. 1

„Hätt ich ja nicht von dir gedacht“ war eine der netteren, „Hol dir keine Geschlechtskrankheiten“ eine der weniger netten Bemerkungen, die ich bekam, sobald ich von meinen Auslandsplänen berichtete. Valencia? Spanien? Dann wurde ich eingehend gemustert, und im Gesicht meines Gegenübers sah ich schon, wie sein Gehirn sich mich Sangriaschlürfend am palmengesäumten Strand vorstellte.
Wenn meine Freunde ein Land für mich gewählt hätten, wäre die Wahl wohl auf Frankreich, Norwegen oder Schweden gefallen. Beinah wär auch genau dies eingetreten – denn warum, warum in aller Welt sollte man in das Land gehen, das das absolute Klischee eines studentischen Auslandsaufenhaltes darstellt? Warum noch eigene Erfahrungen sammeln, wenn sich 70% der Erkenntnisse mit einem Filmabend von L’auberge espagnole decken? Warum in ein Land gehen, dass sich erst in vielen Jahren von dem langen Atem der Krise erholen wird, in dem Jugendliche resignieren und mit leuchtenden Augen von Deutschland erzählen, dem Land von Milch und Honig Arbeit?

well.

Hallo, Erasmus-Klischee Nr. 2

Die Antwort ist wohl: Ich wollte einmal in meinem Leben das Gegenteil von dem tun, was man von mir erwartete. Ich habe aber auch nach einem Ort gesucht, an dem ich eine neue Sprache lernen kann (und kein Englisch), in dem ich mich gleichzeitig in meinem Studium weiterentwickeln und eine Kultur kennen lernen konnte, die mit meinen bisherigen Auslandserfahrungen wenig zu tun hatte. Und ich bin sehr froh, dass ich jetzt sagen kann, dass ich die Entscheidung nie bereut habe und das eben diese provinzielle Großstadt im Rückblick der perfekte Ort für mich war.

montañas

Ich war mir ebenfalls der „Gefahr“ der großen Erasmus-Szene in Spanien bewusst– ich wusste im Vorfeld, dass die Chance, auf Deutsche zu treffen, in Valencia sehr hoch ist. Ich wusste auch, dass es „Erasmusser“ gibt, die in ihrem Aufenthalt wenig bis so gut wie kein Spanisch sprechen und dass die Erasmus-Szene in Spanien mitunter ziemlich kommerzialisiert ist– von Paella-Parties, Tages- und Wochenendausflügen und Aquariumsbesuchen ist da so ziemlich alles dabei. Wie man damit umgeht? So wie in eigentlich jeder Lebenssituation: Erasmus ist das, was du daraus machst. Ich habe Studenten gesehen, die langsam vor Heimweh eingingen, und die eigenen vier Wände eigentlich kaum verließen. Dann gab es die, die zum ersten Mal in ihrem Leben dem Nest der Eltern entflogen waren, und dies jeden Moment ausnutzten (Hausparties und lange Nächte inklusive). Solche, die sich von allem distanzierten und sich ihre eigenen Wege suchten. Aber vor allem die, die neugierig und offen blieben, fünf Monate lang. Die sich nicht von kleinen (Stress mit den Mitbewohnern) oder großen Niederlagen (Geld, Kreditkarte, Ausweis weg) einschüchtern ließen.

alcachofas

Für mich war es auch ein kleiner Urlaub von meinem bisherigen Leben. Neue Dinge ausprobieren, seien sie auch nur so klein: Artischocken probieren. Tintenfische zubereiten. Zum ersten Mal CouchSurfen. Mal wieder alleine reisen. Zum ersten Mal seit bestimmt 10 Jahren im Mittelmeer schwimmen. Von einem drei Meter hohen Berg in einen kalten Gebirgssee springen. Einmal das Gegenteil sein, von dem, die ich sonst bin. Ein neues Strickprojekt beginnen. Dinge gelassener nehmen. Mein lang verlorenes Fernweh wiederfinden.

i made this myself

Aber auch: Mehr arbeiten. Endlich die Projekte anfangen, die schon seit Monaten auf der Festplatte herumlagen. Die Mails schreiben, die ich schon lange schreiben wollte. Pünktlich um 8 Uhr morgens in der Uni zu sein, um die Zeit in der Werkstatt auszunutzen. Zum ersten Mal von mir entworfenen Schmuck verkaufen.
Das Phänomen Erasmus lässt sich so einfach nicht in Worte fassen. Es fühlte sich oft an, als wäre man Teil einer großen, eingeschworenen Gemeinde: Manchmal begegnete ich Spaniern, deren Erasmus-Aufenthalt schon Jahre zurücklagen, aber die immer noch mit leuchtenden Augen davon erzählten, wie sie zum ersten Mal in ihrem Leben selbstständig, weit weg von der Familie lebten (denn in Spanien ist es nicht unüblich, dass man zum Studieren bei seinen Eltern wohnen bleibt). Auch Erasmus und ich sind Freunde geworden. Selbst wenn gruselig viele Erfahrungen 1:1 mit denen aus L’auberge espagnole übereinstimmten.

Kommentare 3

  1. Vera 7. Mai 2013

    dein letzter satz!
    das war auch bei mir so sehr so. und dabei war ich doch in frankreich… aber ich glaube, das ist eher so dieses ganz eigene erasmusding…
    ich mag das photo mit den artischocken so gerne!

    das ist nun ein älterer eintrag, aber ich will dennoch sagen, wie fein ich es finde, dass es hier weitergeht :) und wenn es die layoutaufhübschung ist, die das am einfachsten befeuert, dann ist das ja wirklich erstmal ganz einfach! ich bin gespannt auf das, was kommt.

  2. Laura 21. Mai 2013

    Immer mal wieder komme ich hier bei dir vorbei und schmökere mich durch deine Gedanken und Erlebnisse der letzten Zeit. Ich finde es toll, über was für unterschiedliche Dinge du hier schreibst, doch immer mit deiner ganz eigenen Art. Danke, dass du diese mit uns teilst! (: Im Übrigen fände ich es toll, dich mal wieder persönlich zu treffen… Eines Tages! Zum Beispiel bei einem Konzert von Dear Reader (:

  3. Nina 31. Mai 2013

    Vera: Deine ermutigenden Worte haben auch dazu beigetragen, dass es wieder weiterläuft, und ich danke dafür!

    Laura: Das wäre in der Tat sehr schön! Lass von dir hören, wenn du wieder da bist – als Frau 2eck :)

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