Für eine Deutsche ist der November in Spanien ungewöhnlich warm. Der Wind ist an diesem Abend so stark, dass ich das Gefühl habe, ich könnte mich hineinlegen. Er macht alles ein wenig dramatischer, meine Haare werden in alle Richtungen geweht. Es ist der 14-N, der Tag des Generalstreiks.
Vorboten am Morgen: Als ich zu meinem Spanisch-Kurs gehe, kommt mir eine Gruppe vermummter Jugendliche entgegen. Auf der größten Straße Valencias, der Blasco Ibañez, steht die Polizei. Autos stauen sich, denn heute kann sich keiner auf die öffentlichen Verkehrsmittel verlassen. Seit Tagen hängen in der ganzen Stadt Plakate, die auf Valenciano auf den Vaga hinweisen. Auf dem Rückweg sehe ich das Skelett eines ausgebrannten Müllcontainers.
Wir machen uns gegen halb sechs auf den Weg. Telefonate aus der Heimat erzählen von Ausschreitungen der Polizei am Morgen. Wir packen unsere Ausweise ein. Als wir losgehen, weiß ich nicht so recht, was mich erwartet – vor allem scheint das Ganze so surreal: Von den spanischen Protesten wurde soviel in den deutschen Medien berichtet, dass es sich komisch anfühlt, jetzt Teil so eines Protestes zu sein. Die Straßen sind voll. Wir stellen uns auf Balustraden und Mülleimer, um das Ende der stehenden Masse zu sehen – und können es nicht. Die Menschen warten, trommeln und pfeifen, und es dauert lange, bis sich der Zug in Bewegung setzt.
Das Zeichen des Protestes ist eine Schere – gegen die Kürzungen, die recortas. Mädchen tragen Pappscheren im Haar, alte Herren Filzbroschen in Scherenform, Jugendliche, Frauen und Männer aller Altersstufen Plakate. Manchmal ist auf ihnen auch Angela Merkel zu sehen. Ein Megaphon brüllt: „Wir wollen keine Provinz Deutschlands sein“.
Die Masse bewegt sich langsam durch die große Einkaufsstraße Valencias. Die Geschäfte schließen oder sind bereits geschlossen – dabei dauert es noch lange bis zum offiziellen Ladenschluss. Verkäufer in menschenleeren Geschäften schauen wie Goldfische durch die Glasfassaden, die von Protestanten mit „Cerrado por huelga“-Aufklebern („Wegen Streik geschlossen“) beklebt werden.
Jedesmal, wenn der Polizeihubschrauber über das Geschehen kreist, wird das Rufen und Pfeifen lauter. Polizisten sieht man aber in dem sonst sehr polizeipräsenten Valencia nicht. Wir kommen an der Puerta del Mar an. Die Demonstration löst sich langsam auf. Zum Schluss tanzt noch eine Gruppe auf der Straße, begleitet von Trommelmusik. Wir gehen nach Hause.