Mit Dokumentationen ist das immer so eine Sache. Man sammelt so lange Material, bis die zeitlichen, finanziellen oder inhaltlichen Grenzen erreicht sind. Danach ist man gezwungen, durch den Schnitt eine Struktur festzulegen. Der Dokumentarfilm „Haus Tugendhat“ scheitert leider daran.
Eigentlich gibt der Film vor, die Geschichte eines Hauses zu erzählen. Eines Hauses, das in den zwanziger Jahren im heutigen Tschechien für das jüdische Industriellen-Ehepaar Grete und Fritz Tugendhat erbaut wurde. Eines Hauses, das zur Zeiten der Sowjetunion das einzige Haus in Brünn war, das nicht Grau, sondern Weiß gestrichen war. Das ist aber nicht der Grund für seine Berühmtheit. Das Haus ist heute weltweit bekannt, weil es ein Werk von Bauhaus-Architekt Ludwig Mies van der Rohe ist, es wird sogar zu seinen bedeutesten Werken gezählt.
Wir gleiten durch die Flure der Villa, sehen die Zimmer. Wir treffen die verschiedenen Nachfahren der Tugendhats, die Kinder, die zuerst in dem Haus lebten und danach die Kinder, die nach der Vertreibung der Tugendhats in dem Haus lebten. Und dann verirrt sich die Struktur mit der Familie Tugendhat irgendwo im Exil und in ihrem Venezuela-Aufenthalt. Das Haus rückt immer mehr in den Hintergrund, wir erfahren nicht, welche Beziehung Mies van der Rohe zu dem Haus aufbaute oder in welchem Zusammenhang es mit seinen restlichen Werken steht. (Oder wer Mies van der Rohe überhaupt war und wofür er stand.)
Man geht scheinbar davon aus, dass ein Zuschauer, der sich einen Film über ein Haus der Moderne anschaut, mit dem gesamten Bauhaus-Kontext vertraut ist. Schade ist auch, dass sich der Film zwar mit dem Gedankengut der Zwanziger beschäftigt und sich mit bestimmten Fragestellungen beschäftigt („Hat Architektur die Kraft, einen Menschen zu beeinflussen?“), aber wir nicht erfahren, was aus den Tugendhat-Kindern geworden ist, was sie heute machen, inwiefern der Architektur-Geschmack ihrer Eltern sich auf das Leben der Kinder ausgewirkt hat. Der Titel ist irreführend: Aus „Haus Tugendhat“ wird „Tugendhat“, denn die Tugendhats bleiben im Gegensatz zu der Villa im ganzen Film präsent. Das ist in Ordnung, denn die Lebensgeschichte der Tugendhats ist so faszinierend, dass man sie sich gerne anschaut. Aber trotzdem kann sich der Film einfach nicht entscheiden, was er sein möchte, und springt schnell und unübersichtlich wieder zurück in die Sowjetunion, um wenig später wieder die Tugendhats in den Fokus zu nehmen.
Die Bilder bleiben statisch (bis auf die eingeblendeten Namen, die lustig ihren Ort wechseln), und so kommt es zu ärgerlichen Längen. Bisweilen kommt sogar der Eindruck auf, dass dieser Film überhaupt nicht für die Kinoleinwand gemacht wurde, sondern allenfalls für ein Screening in der Villa Tugendhat.