Im Herbst des letzten Jahres lernte ich zum zweiten Mal Schwimmen. Es war nur ein weiterer Schritt auf meiner Reise durch miefige Turnhallen und viel zu saubere Fitnessstudios. Bereits seit Anfang des Studiums hatte ich versucht, eine Sportart zu finden, an der ich irgendeinen Spaß finden würde, und so tanzte ich ohne Rhythmusgefühl, probierte Fitnessgeräte aus und lief mit regelmäßiger Unregelmäßigkeit durch den Park.
Dieser Kurs war anders. Ich stand mit zehn anderen Anfängern, allesamt mit Badesachen bekleidet, am Rand des kleinen Beckens und übte die richtige Bewegung der Arme. Hätte jemand in diesem Moment von außen durch die große Fensterfront geschaut: Es muss seltsam ausgesehen haben, wie junge, noch nackte Vögel, die gerade versuchen, fliegen zu lernen. Wir alle hatten uns entschieden, Kraulen zu lernen.
Woche für Woche lernten wir einzelne Bewegungen, die wir nach und nach zu einer fließenden zusammensetzten: Erst der Beinschlag, dann der Armzug. Danach das Heben und Senken des Kopfes.
Ich war schon immer gerne geschwommen. Aber nun lernte ich, dass das Schwimmen einen ganz eigenen Rhythmus hat. »Die Beine geben den Takt an«, meinte die Schwimmlehrerin, »das ist wie beim Schlagzeugspielen.« Einatmen, ausatmen, vier Armzüge, einatmen, langsam ausatmen – und dabei die Beine gleichmäßig durchs Wasser schlagen lassen. Bis ich im Wasser auf meinen eigenen Rhythmus hören konnte, vergingen Monate.
In meinem restlichen Leben vermisste ich einen Rhythmus. Ich schrieb an meiner Masterarbeit und hatte gerade eine Beziehung beendet. Die Wintermorgen in Bremen sind dunkel, durch die kleinen Dachfenster kam kaum Licht, ich war immer müde. Ich wusste nicht, wie ich meinen Alltag neu sortieren sollte.
Immer wenn ich dachte, ich hätte beim Arbeiten einen Faden zu fassen bekommen, verwarf ich den Gedanken gleich wieder. Erst im neuen Jahr wurden die Tage wieder länger, meine Arbeitszeiten geregelter, mein Tempo gleichmäßiger, mein Atem länger. Die Räder meines Alltags fingen an, sich wie meine Gliedmaßen beim Schwimmen zu bewegen. Ich fing an, durch meinen Master zu kraulen. Vielleicht ist es das, was ich in diesem Winter lernte: Auf den eigenen Takt zu hören.
Passt auf, haltet durch
Der kleine, immer lächelnde Hip-Hop-Lehrer, franco-marocain, dessen Namen ich peinlicherweise nicht behalten kann, obwohl ich schon seit Monaten in diesem Kurs bin, sagt: »Passt auf euch auf. Der Winter ist die gefährlichste Zeit für euren Körper – es ist kalt, man ist müde, man macht schnell Fehler. Schlaft viel. Esst Vitamine, weil die euch fehlen. Fragt zuhause nach einem Teller Obst. Passt auf, haltet durch – noch bis Februar, das ist die schlimmste Phase jetzt.«
Ich finde die Vorstellung rührend, dass die pubertären Jungs, die so viel geschmeidiger tanzen als ich und vor dem Unterricht ihre besten Breakdance-Moves vergleichen, nun bei maman nach einem Teller Obst fragen. Es ist ein tröstlicher Gedanke, sich in der dunklen Jahreszeit ein wenig mehr um das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Als ich durchgeschwitzt durch die Gassen der Stadt nach Hause laufe, denke ich: Der Winter ist nicht nur für den Körper eine schwierige Zeit, sondern auch für die Seele.
– Dijon, im Januar 2015
Albern und bunt …
… also so, wie man uns kennt. Idee, Drehbuch, Dreh, Ton und kein Schnitt innerhalb von 24 Stunden. »Das ist mittlerweile einfach eine ungewöhnliche Art, jedes Jahr ein Wochenende mit meinen besten Freunden verbringen zu können«, meinte ich kürzlich im Bezug auf das durchgedreht24-Selbstfilmfest und es stimmt irgendwie. Komisch, dass selbst dieser verregnete Sommer nun schon so weit zurückliegt.
Vergessene Träume: Schnipsel der Woche
- Gestern besuchte ich die Deichtorhallen Hamburg. Eher zufällig stießen wir dabei auf eine Ausstellung von Alec Soth, dessen Arbeiten ich in meinen ersten Studiensemestern sehr bewundert hatte. Die Ausstellung versetze mich in diese Zeit zurück: damals interessierte ich mich sehr für Fotografie und hatte mehr Träume als Ziele. Darum liebte ich auch all die ungesagten Träume, Geheimnisse und Geschichten, die Soths Fotografien in sich tragen. Ignant hat ein Feature zur Ausstellung, mit einem Interview, das mir sehr viel Mut gemacht hat.
- Seit einer Woche chatte ich mit Uschi, einer Bio-Kuh aus Nordrhein-Westfalen. Sie erzählt mir, wie viel Milch sie heute so gibt und wie es Kalb Willi gerade geht. Möglich gemacht hat das Projekt »Die Superkühe« vom WDR – für mich jetzt schon das spannendste Online-Journalismus-Projekt des Jahres.
- Seit ich Benedict Wells 2010 bei einer Lesung erlebte, bin ich Fan. Seine Facebook-Seite war schon immer empfehlenswert – dort postet er kurze Buchkritiken und Playlists. Jetzt hat er eine eigene Internetpräsenz mit einer lesenswerten Textsammlung. Motiviert hat mich dieser Artikel – er handelt (was sonst?) vom Schreiben.
- Anna Niestroj ist Gestalterin, führt ein Kreativbüro, entwirft leidenschaftlich Muster – und renoviert irgendwie ständig ihre Wohnung. Lange habe ich diesen Prozess bei Instagram beäugt, nun gibt es die gesammelten Fotos des Prozesses auf ihrem Blog. Die Küche! Die Küche!
Es liegt ja immer eine Gefahr darin, sich zu wiederholen und dafür gefeiert zu werden, was man immer macht. Deshalb passiert es oft, dass durch Sachen, die außer der Reihe gemacht werden, als halbe Auftragsarbeit, die besten Arbeiten entstehen. »Drive« ist der beste Film von Nicolas Winding Refn, weil er da gar nicht immer machen konnte, was er wollte: Er hatte ja ein Drehbuch, eigentlich sollte es ein ganz normaler Thriller werden. Er hat dann sein ganz eigenes Ding daraus gemacht.
Dietrich Brüggemann im Interview über seinen ersten »Tatort«
Das Sommerloch ist tief und groß
In jedem Jahr ein Sommerhit: Die Quietschbeus besingen das Sommerloch.
Schnipsel der Woche
Hey, it’s 2009, let’s do a link list! Eine Rubrik, die dank Twitter schon vor Jahren veraltet ist, aber ich mag es, wenn sich am Ende der Woche die Lieblingslinks zu einer harmonischen Collage zusammenfügen. Zudem mag ich in Zukunft gerne auf das zurückschauen, was mich im Moment bewegt. Außerdem ist der Sonntag doch ein perfekter Lesetag!
- Seit Wochen höre ich HAIMs neues Album »Something To Tell You« on repeat. Noch vor ein paar Jahren ich diesem kalifornischen Sound der drei Schwestern wenig abgewinnen, jetzt habe ich eine ganze Woche lang mit ihren zwei Alben mein neues Zimmer renoviert. Noch mehr Spaß habe ich dabei, Interviews mit den drei Schwestern anzusehen. Danielle Haim, Leadsängerin und die mittlere der Schwestern, sitzt meistens in den Interviews am Rand und sagt wenig bis überhaupt nichts. Sie ist nun offiziell mein »favourite introvert« in der aktuellen Popkultur.
- In letzter Zeit habe ich drei gute Interviews mit Frauen gelesen, die für andere Frauen arbeiten. Dabei habe ich gemerkt, dass ich sehr gerne mehr davon lesen möchte!
In dem ersten erzählt Rebecca Grice, die Stylistin der Haim-Schwestern (surprise!) darüber, wie sie den Stil der Band weiterentwickelt und fördert. - Die ukrainische Künstlerin Masha Reva hat eine verträumt-verspielte Fotostrecke für den Modedesigner Jaquemus entworfen. Sie soll eine Hommage an Jaquemus’ Heimatstadt Marseille darstellen (die ich genauso wie die Fotostrecke liebe, obwohl ich nur einmal bei strömendem Regen dort war). Masha Revas gesamtes Portfolio ist übrigens einen Blick (oder viele davon) wert.
- Ich arbeite in einem starken Team zehnmal besser als allein. Und so ausgelutscht es auch mittlerweile sein mag: Ich werde nie, nie, nie müde werden, Artikel über die Chancen und Schwächen von Teamwork zu lesen.
- Natürlich habe ich als Kind mit der »Raupe Nimmersatt« Lesen gelernt. Und natürlich habe ich mich bis heute gefragt, wie Eric Carle seine Wasserfarben-Collagen fabriziert. Die Antwort liefert diese arte-Doku, die auch die bizarre Kindheit und Jugend des Grafikers und Illustrators erzählt.
Im zweiten plaudern Selena Gomez und Petra Collins über ihre gemeinsame Arbeit an Gomez’ neuem Musikvideo. Man mag von der Arbeit der beiden halten, was man will, dass hier sowohl eine junge Frau hinter der Kamera als auch vor der Kamera steht, finde ich absolut erfrischend.
Und zu guter Letzt gab es dann noch dieses Interview bei No Film School, in dem die Art Direktorin von Sofia Coppolas neuem Film »The Beguiled« erzählt, wie es eben so ist, mit Sofia Coppola zusammenzuarbeiten. (Spoiler: So wie man es sich auch vorstellt, mit Sofia Coppola zu arbeiten).
Sommerlektüre
Ein bisschen Sommer ist noch, ich bin da optimistisch. Ein Freund fragte mich vor einem Jahr nach der passenden Lektüre für seine Urlaubstage, ich schickte ihm daraufhin eine Liste mit den Romanen, die meine letzten Sommer bestimmten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er bis heute nichts von der Liste gelesen hat. Vielleicht findet sie hier den richtigen Leser.
- Banana Yoshimoto: Tsugumi
- Donna Tartt: The Secret History
- Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
- Mark Twain: Huckleberry Finn
- Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern
Ein bisschen wie Balsam ist dieses Buch. Es spielt in einem verregneten Sommer in einem verschlafenen Hafenstädtchen Japans und sollte damit auch noch die perfekte Lektüre für diesen Sommer sein. Eine (gar nicht doofe) Coming-of-Age-Geschichte gibt es obendrauf.
Den Sommer 2015 verbrachte ich hauptsächlich in Regionalzügen. Ich schleppte dieses Buch überall hin und sah nicht viel von den Bahnhöfen, an denen ich wartete, weil mein Kopf in diesem Buch steckte – so viel Sogkraft übte seit Harry Potter kein Buch mehr auf mich aus. Es hat ja aber auch die besten Zutaten dafür: Versnobte College-Studenten aus Neuengland und ein Geheimnis. Unbedingt in der Originalfassung lesen.
Gerne hätte ich dieses Buch mit Liebeskummer gelesen. Leider hatte ich keinen. Vielleicht auch ganz gut so, denn die Protagonistin hatte ja schließlich schon welchen. Ein Buch, das nicht zu viel will und gerade deswegen so angenehm daherkommt.
Ich hatte gerade mein Abitur bestanden und lag mit meinen Freundinnen und Huckleberry Finn am Strand. Bis heute ist es eins meiner Lieblingsbücher. Huckleberry Finn ist die Blaupause des amerikanischen Jugendromans, Holden Caulfield und seine Nachahmer können da einpacken.
Las ich als gerade 16-jährige in der Hängematte im Garten meiner Eltern. Ich glaube, es gibt keinen besseren Zeitpunkt für dieses verträumte-stille-verstörende Buch, das mittlerweile eh jeder als Sofia-Coppola-Verfilmung gesehen hat. Trotzdem war es mit seinem wunderbaren Schreibstil mein erster Schritt in die »erwachsene« Belletristik und dafür bin ich bis heute dankbar.